Persönlicher Erfahrungsbericht nach COVID-19-Erkrankung

 von Carolin Vogel, Integrative Atemtherapeutin

Meine Beobachtungen und Aufschriften während des Krankheitsprozesses.

…der Rücken brennt so. Komisch, habe ich mir die Haut an der viel zu heißen Heizung verbrannt? Es fühlt sich an wie ein großflächiger, kräftiger Sonnenbrand. Das kenne ich aus der Kindheit. Es macht heiß und kalt zugleich und ich fühle mich elend und schwach. Was ist das? Ich will ins Bett, mich zurückziehen und da sein, wo ich mich sicher fühle, wo ich geborgen bin und geschützt.

So gehe ich am ersten Abend ohne weitere Gedanken einfach zu Bett. Schlafe tief und schwitze nachts die Nachthemden nass. Was ist das, immer wieder diese Frage. Wohl eine Grippe oder so. Ich bleib liegen, denn der Gedanken aufzustehen fühlt sich so anstrengend an, dass ich das nicht in Erwägung ziehe. Einfach liegen bleiben und eine erstaunliche Leere im Kopf sein lassen.

Der Tag zieht vorüber, schnell und fast wie ungesehen. Immer wieder muss ich husten und eine Enge im Brustraum stellt sich ein. Enge im Brustraum. Die beschäftigt mich besonders nachts, wenn ich aufwache. Mein Atem ist kurz und flach. Ich zähle die Sekunden. Eins ein, eins aus. Das ist ja wenig. Der Artikel von Steven Elliot kommt mir in den Sinn. …ein Thema bei Corona ist der niedrige Sauerstoffgehalt im Blut…, an das meine ich mich zu erinnern. Das hört sich nicht gut an. Das will ich nicht. Und das fühlt sich auch nicht gut an. Also, was tun? Atmen. Atmen in die Enge, durch die Enge hindurch, mit der Enge und immer wieder mitten durch. Auch wenn es bei zwei schon wirklich eng ist, gehe ich weiter, atme weiter und bleibe dabei, bis ich bei 5 Sekunden bin. 5 Sekunden ein, 5 Sekunden aus. Es ist mühsam. Hm, was könnte ich tun. Ich bin froh, dass ich das nicht zum ersten Mal mache, sondern mich schon immer wieder im Atmen üben konnte.  Leider kann ich mich nicht wirklich gut konzentrieren und eigentlich würde ich viel lieber schlafen, denn die Erschöpfung liegt schwer über mir. Aber ich bleib dran. Die Idee, in der Ujai-Atemtechnik ein und aus zu atmen kommt mir als nächstes in den Sinn. So liege ich da, Ujai-Atem, 5 ein, 5 aus. Immer wieder aufs Neue durch die Enge. Immer wieder weiter gehen. Bloß nicht der Enge die Macht geben und sich nicht von ihr den Atemraum diktieren lassen. Wie lange ich das wohl so mache. Keine Ahnung. Es gibt eh nichts anderes zu tun und es wird leichter. Darüber schlafe ich wieder ein. 

Am nächsten Morgen erinnere ich mich und bemerke, dass der Atem lange nicht mehr so eng ist. Heute ist der 3. Tag. Wir haben unsere Ergebnisse und erfahren noch, dass es die gefährliche Englische Mutation ist. Hm, was bedeutet das eigentlich für mich?

Ich habe Corona. Die ersten Male, die ich das ausspreche habe ich keinen Bezug zu diesen Worten. Gleichzeitig nehme ich wahr, wie mein Gegenüber am Telefon erschrickt. Die Luft anhält und kurz ganz still ist. Meist kommt dann die Frage, wie geht es Dir und dann, wo hast Du das denn her.

Diese Frage kann ich die ersten Tage immer nur mit: „Keine Ahnung“, beantworten. Wo habe ich das eigentlich her? Immer wieder gehen meine Gedanken durch die letzten Tage. Wen habe ich wo getroffen, mit wem hatte ich Kontakt, wer war mir nahe? 

Und immer wieder komme ich auf den Schluss, es ist eigentlich egal, denn es ändert sich nichts, ob ich weiß, wie und von wem Corona zu mir kam. Doch dann kommt der Geistesblitz. Ja, klar, ein Besuch. Der zweite Besuch in einem Jahr. Das muss es sein. Ich greife zum Telefon und rufe dort an. Ja, der Mann ist krank.

Ich beobachte, wie unterschiedliche Stimmen in mir aktiv werden. Warum haben sie sich nicht von sich aus gemeldet? Warum sind sie nicht daheim geblieben? Warum habe ich mich angesteckt? Was hat das eigentlich alles mit mir zu tun und warum muss ich nun diesen Prozess meistern? Diese Fragen bewege ich in mir. Immer wieder bemerkend, wie ein Teil in mir so gerne die Verantwortung abgeben würde und gerne sagen würde, weil Du…. deshalb ist es jetzt bei mir so. Und ich bewege es und komme immer wieder zu mir zurück. Weil ich mich angesteckt habe, bin ich nun krank. Und ich gebe mein Bestes, mir Gutes zu tun, mich zu pflegen und so bald als möglich wieder gesund zu sein.  Dennoch kommen diese kleinen Vorwürfe immer wieder auf und ich spüre, wie froh ich bin, dass bisher niemand von mir angesteckt wurde. Das ist schon erstaunlich, wie stark das System hier aktiv wird und zurückrudern will in die alten überlieferten Schuldmuster, die uns schwächen und immer wieder aufs Neue klein machen. 

Ich lasse immer wieder die Urteile los. Die Urteile auf mich, dass ich nun krank bin, die Urteile, dass ich noch Menschen getroffen habe, die sich eventuell angesteckt haben könnten, weil ich es noch nicht wusste und das Urteil, dass jemand mich angesteckt hat. Dankbar und froh bin ich, dies immer wieder in mein Bewusstsein zu bringen, um die liebevolle Energie in mir und um mich herum im Fluss zu halten. 

Doch die Frage, warum ich, warum ich, ja warum eigentlich ich?

Diese Frage findet keine Antwort in der Tiefe. Der Gedanke ist immer wieder, dass die Krankheit wirklich ein Prozess ist. Ein Wandlungsprozess. Ein Weg der Veränderung und wie auch immer es kommen mag, sehe ich mich immer wieder, wenn ich gesund bin. Voller Kraft, Stärke und Klarheit. 

Warum nicht. Sich tief durcharbeiten durch den Weg des Rückzuges. 14 Tage die Wohnung nicht verlassen. Nachts mal einen Gang zur Mülltonne wagen, der wirklich von großer Dankbarkeit gekrönt ist, als ich wieder oben war, denn der Weg ist lang bis in den zweiten Stock !! und ich bin schwach. 

Ein Weg durch Tage der Leere, der Unkonzentriertheit und der absoluten Verletzlichkeit. So empfindlich und verletzlich habe ich mich selten so lange gefühlt. Es ist als wäre die Seele wund, als wäre das Verletzlichste in mir ganz nah an der Oberfläche, was sonst tief in mir versteckt ist. So laufen die Tränen des Mitgefühls, der Rührung, des Schmerzes und der Trauer und ich lasse sie laufen. Lasse sie laufen und halte mich selbst im Arm, nicht um mich zu trösten, um bei mir zu sein. Immer wieder den Atem spürend und immer wieder mich öffnend für mich selbst. Es wird mir so klar und bewusst und nicht, dass ich das noch nicht gefühlt und gewusst hätte, wie unglaublich verletzlich wir Menschen doch sind. Wie zart, wie empfindsam und wie schutzbedürftig wir sind. 

Wie groß die Einsamkeit in uns ist, wenn die Quarantäne zur Einzelhaft wird und wir unsere eigene Wohnung als eine Art Gefängnis wahrnehmen, das wir so viele Tage nicht verlassen dürfen.

Ein neuer Tag. Die Lunge hat es heute viel leichter und der Atem fließt viel einfacher und tiefer ein und aus. Das macht den Tag viel leichter. Ich bin konzentrierter und fühle mich etwas stabiler. Heute wollen wir einen Voice Dialogue mit den Lungen machen.


Bericht vom Voice Dialogue:

Voice Dialogue ist eine Methode, in der mit inneren Anteilen gesprochen wird. Diese Anteile können auch Organe sein. Im Folgenden ist der Dialog, geführt durch den Begleiter, mit der Lunge der Patientin beschrieben:

Begleiter: Lunge, wie geht es Dir?

Lunge: Es ist anstrengend. 

B: Was ist so anstrengend?

L: Hustet. Alles ist so anstrengend. Ich habe so viel zu tun. 

B: Okay. Was machst Du denn? Was hast Du denn zu tun?

L: Ich muss dauernd schauen, dass alles funktioniert, einatmen, ausatmen, Sauerstoff aufnehmen, verteilen, abgeben. Das ist so anstrengend.

B: Seit wann ist das so?

L: Seit ein paar Tagen.

B: Hast das schon mal gehabt? Kennst Du das?

L: Nein, das kenne ich nicht und erst hat mich das so gestresst, dass ich mich voll angespannt habe. Ich habe gedacht, ich schaffe das nicht. Ich habe mich so angestrengt. 

B: Was wünscht Du Dir da, auch von der Patientin?

L: Das habe ich ihr schon gesagt: Dass sie ruhig atmet. Dass sie sich viel hinlegen soll.

B: Dann ist es nicht so anstrengend für Dich?

L: Ja

B: Und gibt es noch etwas für Dich?

L: Ja, das habe ich nicht gewusst, das hat sie selbst herausgefunden, dass sie weiter atmet, wenn ich mich so anspann, dann hilft sie mir. Sie hilft mir, wenn sie bewusst weiter atmet, dann kann ich mich so ein bisschen nicht noch mehr verkrampfen.

B: Dann fühlst Du Dich unterstützt?

L: Ja

B: Einfach weiter atmen und entspannen?

L: Ja, wenn sie weiter atmet, dann entsteht eine Entspannung, wenn sie die Enge fast so wie ignoriert. Weil immer wenn es anstrengend ist, und es ist die ganze Zeit anstrengend, dann spanne ich noch mehr an. Dann wird es noch anstrengender und wenn sie dann weiter atmet, am Anfang hat sie dann aufgehört, dann wird es schlechter und jetzt, atmet sie weiter und öffnet und schließt und es wird besser, auch wenn es eng ist.

B: Wie soll der Atem sein, ist das ein leichter oder sanfter Atem oder ein kräftiger?

L: Ein sanfter, aber groß und weit, soweit und groß, wie es geht. 

B: HmL: Hustet

B: Gibt es noch etwas, was Dich unterstützen könnte.

L: Wärme auf der Brust. 

B: Wie nimmst Du das Virus wahr?

L: Der arbeitet da überall rum.

B: An Dir?

L: An Teilen von mir. 

B: Und wie hat sich das verändert vom Anfang der Infektion oder vom Ausbruch bis jetzt?

L: Das war so als hätte das Virus die Lunge überrumpelt, als wäre sie nicht gut aufgestellt gewesen.

B: Nicht gut vorbereitet?

L: Ja und dann hat er ganz viel arbeiten können erst mal. Bis ich es bemerkt habe.

B: Und hast Du Unterstützung? Aus dem System von der Patientin?

L: Ja, da ist Unterstützung. 

B: In welcher Form, welche Teile sind das?

L: Ich weiß nicht, was das ist, aber etwas drängt das zurück. Das Virus kann sich nicht so gut ausbreiten. Als wäre da was, was sich an den Viren festhalten würde, dass sie sich nicht so schnell verbreiten können. Sie sind bisschen gehindert.

B: Und wie hat sich das verändert vom Anfang bis heute?

L: Die werden immer mehr gehindert. Und das wird immer langsamer, dass sich das ausbreiten kann. Eigentlich gar nicht mehr. 

B: Hm

L: Nur noch ganz langsam

B: Das ist ja dann ein positiver Verlauf.

L: Ja

B: Was wünschst Du Dir jetzt?

L: Dass die Patientin immer wieder gut zu mir hinhorcht und hört, was ich brauche.

B: Prima, noch was?


Im Bericht vom Landratsamt sind die möglichen Symptome aufgezählt. Warum sollte ich die nicht alle mal durchmachen. So gehen die letzten zwei Tage mit heftigen Durchfällen einher. Ich habe keinen Hunger und auch keinen Appetit. Mir ist elend zu Mute und ich bin gleichzeitig so richtig sauer. Ich habe keine Lust mehr krank zu sein, rumzuliegen, zu warten oder auch nicht. Ich bin so sauer, dass ich einfach nichts machen kann. Ich erzähle es ein paar Menschen über WhatsApp oder am Telefon. Das bringt leider auch keine Änderung. So bleibe ich und bleibe mit meinem Gefühl.

Ich bin schwach und weiß einfach nicht, in was ich Stärkung finden könnte. 

So hänge ich rum, bin mit mir und versuche mich selbst auszuhalten. Lasse immer wieder alle Urteile los und versuche immer wieder liebevoll auf mich selbst zu blicken. 

Und wieder vergeht ein Tag und es ist halb zehn. Da gehe ich ins Bett, vom Bett war ich auf dem Sofa und vom Sofa wieder zurück ins Bett. Das sind die Tage, die maximalen Bewegungen und das Leben scheint stillzustehen. Keine Gedanken über das eigentliche Leben, die Zukunft. Nur der Gedanke an das Meer kommt mir immer wieder in den Sinn und so wandert mein innerer Blick immer wieder über die so vertraute Umgebung an unserem geliebten Platz am Meer. Das beruhigt.

Ja, dann beginnt wieder ein neuer Tag und oh, wie erstaunlich. Mir geht es besser. Die Nacht war nährend und ruhig und der morgen beginnt sehr positiv.

Heute ist der erste Tag, an dem ich mich auf Lesen konzentrieren kann.

Ich liege und lese und freue mich, dass ich mir ein Stück Normalität zurück erobert habe.

Lesen ist toll.

So geht es nun jeden Tag ein Stück besser. Die Konzentration kommt zurück, das Zutrauen Atemsitzungen geben zu können kommt näher. Das Interesse an Dingen und der Wunsch nach Ordnung, Sauberkeit und Klarheit in der Wohnung stellen sich wieder ein.

Und damit kommt auch der Blick nach draußen, da scheint die Sonne und der Wunsch ist da, die Wohnung zu verlassen. Auch wenn ich noch manchmal huste, noch schwitze in der Nacht, der Atemraum beim Ausatmen manchmal eng wird und ich den Atem dann ganz bewusst sanft loslasse. 

Es gibt den Wunsch nach Freiheit und nach Normalität. Das ist wunderbar.

Dann gehe ich zum ersten mal wieder raus. Zum Arzt, um den prüfenden Test machen zu lassen. Das ist sehr aufregend und macht auch Angst. Was ist, wenn der Test noch positiv ist? Dann geht die Quarantäne weiter. Zum Glück ist er negativ. 

Wie herrlich, jetzt kommt das Leben zurück und Stück für Stück der Alltag, der immer wieder anstrengend ist, von leichten Kopfschmerzen und von Unsicherheit, ob ich das schaffe, begleitet.

Ein paar Mal bemerke ich, dass ich mir vertraute Handlungen im Alltag nicht abrufen kann. Das finde ich erstaunlich und nicht wirklich fassbar. Und auch das vergeht.

Ich bin froh und dankbar, diese Infektion gut gemeistert zu haben. Es erfüllt mich, dass mein Körper mit der Situation gut umgehen konnte und ich bin froh und dankbar, dass ich in dieser besonderen Zeit immer wieder Unterstützung in Gesprächen gefunden habe und mit mir im Einklang war, diese Zeit als eine Chance der Erfahrung und des Wachstums zu sehen.

Was ISt Integrative Atemtherapie?

Was zeichnet dieses therapeutische Verfahren aus? Für wen kann dieses Verfahren hilfreich sein? 

Atemübungen zu Covid-19

Hier finden Sie hilfreiche Atemübungen der Integrativen Atemtherapie, abgestimmt auf Ihren aktuellen Bedarf: Zur Prophylaxe, zur Begleitung während einer akuten Erkrankung und zur Rekonvaleszenz. 

ATEMTHERAPEUT*IN IN IHRER NÄHE GESUCHT?

Hier finden Sie eine Adressliste der atemtherapeutisch tätigen Mitglieder des Berufsverbandes.